mistam hat geschrieben: Der Islam, wie er von der weit überwiegenden Zahl der Gläubigen gelebt und verstanden wird, fordert keinen Dschihad und keine Anschläge.
Was "der Islam" in dieser oder jener Lesart fordert und was seine Gläubigen in der Masse und im Einzelfall daraus machen, darüber kann man ja nun trefflich debattieren.
Was sicherlich stimmt, ist die Tatsache, daß die Mehrheit der Muslime keine terroristischen Anschläge begehen. Deswegen gibt es aber in der islamischen Welt trotzdem mächtige Strömungen (die man global gesehen durchaus zum islamischen Mainstream rechnen kann), zu deren Weltbild diverse Dinge gehören, die man schwerlich mit unseren mitteleuropäischen Vorstellungen von einer freiheitlichen und säkularen Gesellschaftsordnung unter einen Hut kriegt. Dafür muß man gar nicht bis zu irgendwelchen Möchtegernmärtyrern gehen.
Klar gibt es auch eine Menge liberale und aufgeklärte Muslime. Wenn man sich aber mal anschaut, wer weltweit theologisch den Ton angibt, scheinen die Mehrheiten da doch insgesamt etwas anders zu liegen. "Archaisch" ist da noch das höflichste, was mir dazu einfällt... gekoppelt mit dem Anspruch, daß Staat und Gesellschaft sich auch gefälligst nach diesen Maximen zu richten haben oder aber eben von den Gläubigen ignoriert werden. Gegen manche gesellschaftspolitische Vorstellungen, die in vielen islamischen Ländern hoffähig oder sogar gelebte Realität sind, nehmen sich der erwähnte Herr Höcke und seine Spießgesellen wie die Vertreter der Jungliberalen im Schülerparlament aus.
Und das kann/darf/soll/muß man kritisieren und dabei auch mal den Finger in die Wunde legen... wenn wir nicht möchten, daß unsere eigene Gesellschaft langfristig auch mal in diese Richtung driftet.
Das, was die Verbrecher, die Anschläge begehen, als den Islam "verkaufen" ist eine extreme und an ihre verbrecherischen Ziele angepasste Lesart des Islam.
Nein, es ist nur die logische Folge der Kombination aus a) einem Kulturraum, der in weiten Teilen gesellschaftlich in der Vormoderne verhaftet ist, b) daraus resultierendem wirtschaftlichen Rückstand, c) einer Religion, die in ihrem Kern um den Begriff der Unterwerfung kreist und d) tradierten kulturellen Werten aus einer noch nicht allzu lange zurückliegenden tribalen Vergangenheit, die von den Begriffen Ehre und Scham geprägt werden.
Diese besagte Lesart des Islam ist nicht eine Anpassung an verbrecherische Ziele, sondern die Ziele (und die Wege zu ihrer Verwirklichung) ergeben sich mit einer gewissen Folgerichtigkeit aus einer orthodoxen, aber nicht abseitigen oder isolierten Auslegung des Islam.
Der Großscheich der Al Azhar hatte vor einiger Zeit mal die brillante Idee, im Rahmen einer Fatwa denjenigen Selbstmordattentätern, die unbeteiligte Zivilisten töten, ihren Märtyrerstatus abzuerkennen. Dem Vernehmen nach mußte er unter dem Druck seiner Kollegen schnellstens zurückrudern (und sich als Lakai der ägyptischen Regierung beschimpfen lassen).
Wir wollen mal nicht vergessen, daß Terrorismus in diesem Ausmaß nicht ohne gesellschaftlichen Nährboden wächst. Hinter jedem Terroristen stehen hunderte logistische und finanzielle Unterstützer, tausende aktive Sympathisanten und ein Heer von Leuten, die zwar die Gewalt als Mittel ablehnen (entweder für die Außendarstellung oder aus persönlicher Überzeugung), sich aber ganz gut mit den dahinterstehenden politischen Zielen (hier: eine Gesellschaft, die in allen ihren Facetten von islamischen Normen und Werten bestimmt wird) identifizieren können.