EHRENAMTLICHE IN DER POLIZEIDIREKTION ESSLINGEN
Die letzten ihrer Art
KREIS ESSLINGEN: Bei der Polizeidirektion Esslingen arbeiten 40 ehrenamtliche Freizeit-Polizisten - Die neue Regierung will den Freiwilligendienst abschaffen
Angehörige einer gefährdeten Spezies: Kosta Anagnostou, Gerd Glohr und Michaela Schenk (von links) sind innerhalb von zwei Wochen Polizisten geworden. Sie unterstützen die Beamten im Verkehr und bei der Prävention.
Sie tragen Uniform, im Gürtel steckt eine Walther P 5, Kaliber neun Millimeter: Michaela Schenk, Gerd Glohr und Kosta Anagnostou sind Polizisten. Ehrenamtlich. In ihrer Freizeit. Einzig an den Schulterklappen erkennt der Eingeweihte, dass er einen Polizeifreiwilligen vor sich hat. Balken statt Sterne sind dort aufgenäht. Die Polizeifreiwilligen im Land sind eine CDU-Erfindung aus den 60er-Jahren. Die neue Regierung will sie nun loswerden.
Von Doris Brändle
Insgesamt 40 Ehrenämtler, darunter 13 Frauen und 7 Menschen mit ausländischem Pass, unterstützen die Beamten auf den verschiedenen Revieren der Direktion Esslingen. Verkehrskontrollen, Feste, Demonstrationen und präventive Dienste wie die mobile Wache am Esslinger Bahnhof sind klassische Einsatzgebiete der Polizeifreiwilligen.
„Wir schicken nie zwei Freiwillige zusammen los, es ist immer ein Hauptamtlicher dabei“, sagt Kriminalhauptkommissar Heinz Hönicke, der die Freiwilligen in Esslingen betreut. Zu brenzligen Einsätzen schicke man sie nicht. „Eine Gewähr, dass eine an sich harmlose Situation beim Bürgerfest oder bei einer Drogenkontrolle nicht eskaliert, gibt es aber nicht.“
Bisher sei aber noch keinem Freiwilligen Schlimmeres passiert.
„Relikt des Kalten Krieges“
Die baden-württembergische Landesregierung setzt seit 1963 auf ehrenamtliche Polizisten. „Die Freiwilligen sind ein Relikt des Kalten Krieges“, sagt Günter Loos, Sprecher des CDU-Innenministeriums. Damals, zu Zeiten der Aufrüstung, habe man für den Fall eines Angriffs aus dem Osten genug Kräfte in der Hinterhand haben wollen. „Da war ja auch die Bereitschaftspolizei noch mit Granatwerfern ausgestattet.“ 4500 Freiwillige gab es im Land zu Spitzenzeiten, heute sind es noch 1250. „Die Aufgaben haben sich gewandelt. Heute unterstützen sie die kommunale Kriminalprävention.“ Dass sie hie und da im Land auch als zweiter Mann - oder zweite Frau - mit auf Streife gehen, weiß man im Innenministerium. „Das sollte so nicht sein, aber ich bin ja nicht blauäugig“, sagt der Sprecher.
Die Hilfspolizisten - eine Bezeichnung, die sie gar nicht gerne hören - haben das Recht, aus dem Repertoire zu schöpfen, das auch den Beamten zur Verfügung steht: von einfacher körperlicher Gewalt bis hin zum Gebrauch der Schusswaffe.
In Esslingen sind die letzten Ehrenamtlichen vor sechs Jahren ausgebildet worden. Schwerpunkte sind Recht, Polizeitaktik, Psychologie sowie Abwehr- und Zugriffstraining. Und nicht zu vergessen: das Schießtraining. Regelmäßige Fortbildungen vertiefen die Themen.
Pädagogen und Arbeiter
Die Warteliste für den freiwilligen Polizeidienst in der Esslinger Direktion ist lang. Die Interessenten kommen aus allen Schichten und Berufen: Erzieherinnen, Ingenieure, Arbeiter.Was reizt diese Menschen, sich zweimal im Monat eine Samstagnacht als Anhalteposten bei einer Verkehrskontrolle um die Ohren zu schlagen? „Ich denke, bei einigen spielt die Uniform eine Rolle. Für manche ist sie ein Ausdruck von Macht“, sagt Hönicke. Doch für Freizeit-Rambos und Menschen, die sich nur in Uniform stark fühlen, sei kein Platz. „Wir nehmen nicht jeden“, betont er.
Jetzt taugt die Warteliste vermutlich nur noch für den Papierkorb: Der neue Koalitionsvertrag, den Grün/Rot am vergangenen Mittwoch vorgestellt haben, macht dem Ehrenamtlichen-Dienst den Garaus: „Wir werden den Freiwilligen Polizeidienst mittelfristig auflösen. Als Sofortmaßnahme werden wir das Budget einfrieren und keine neuen Angehörigen für den Freiwilligen Polizeidienst einstellen“, steht da. Was mit „mittelfristig“ gemeint ist, will der Sprecher der baden-württembergischen SPD nicht näher definieren: „In absehbarer Zeit, ein Datum kann ich nicht nennen.“ Der SPD ist der Freiwilligendienst schon lange ein Dorn im Auge. Aus ihrer Sicht macht eine Schnellbleiche von zwei Wochen aus einer Sozialpädagogin oder einem Elektriker keinen Polizisten. Die Kritik war stets, dass die Freiwilligen nur dazu dienen, die dünne Personaldecke zu stopfen.
Viele der Freiwilligen hatten die Abschaffung seit der Landtagswahl befürchtet, dennoch ist die Enttäuschung, zum Teil auch der Frust, groß: „Leider werden Polizeifreiwillige von bestimmten Menschen in der Politik wie auch auf den Revieren als Menschen zweiter Klasse gesehen. Aber es gab auch Revierleitungen die uns wie gleichwertige Menschen behandelt haben“, sagt ein Polizeifreiwilliger, der nicht mit seinem Namen in der Zeitung stehen will. Und: „Wir waren immer gut, Dienste zu machen, die bei aktiven Beamten nicht beliebt waren oder wenn die Dienstgruppe unter der Mindeststärke war. Ich persönlich finde es sehr schade, dass man uns nun so abservieren will.“
In der Esslinger Polizeidirektion habe man gute Erfahrungen mit den Freiwilligen gemacht, sagt Polizeisprecher Michael Schaal. Das seien geschätzte Kollegen. Die Zusammenarbeit funktioniere sehr gut, zumal viele der Ehrenamtlichen seit Jahrzehnten dabei sind und zahlreiche Freundschaften entstanden sind.
An Probleme oder kritische Situationen mit den Freizeit-Polizisten erinnert sich Hönicke nicht. „Wir möchten nicht auf sie verzichten“, sagt er. „Sie würden eine Lücke reißen.“
http://www.esslinger-zeitung.de/lokal/e ... 707591.cfm