127 I StPO

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Moderator: schutzmann_schneidig

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SirJames
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Re: 127 I StPO

Beitragvon SirJames » Mi 8. Mär 2017, 15:32

hoschi101 hat geschrieben:Etwas defizitär, mit welcher Gleichgültigkeit im Stil von "Unwichtig, ich schreibe einfach vorläufige Festnahme" hier zum großen Teil an die Thematik gegangen wird. :o
Moin,

wäre es Dir möglich die entsprechenden Beiträge zu zitieren?

Gruß
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unreal13
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Re: 127 I StPO

Beitragvon unreal13 » Mi 8. Mär 2017, 18:15

hoschi101 hat geschrieben:Etwas defizitär, mit welcher Gleichgültigkeit im Stil von "Unwichtig, ich schreibe einfach vorläufige Festnahme" hier zum großen Teil an die Thematik gegangen wird. :o

Ein Blick in den Gesetzestext erleichtert die Rechtsfindung (relevante materielle Voraussetzungen markiert):

Abs. 1

(1) Wird jemand auf frischer Tat betroffen oder verfolgt, so ist, wenn er der Flucht verdächtig ist oder seine Identität nicht sofort festgestellt werden kann, jedermann befugt, ihn auch ohne richterliche Anordnung vorläufig festzunehmen. Die Feststellung der Identität einer Person durch die Staatsanwaltschaft oder die Beamten des Polizeidienstes bestimmt sich nach § 163b Abs. 1.

Erläuterung:

frischer Tat betroffen oder verfolgt - enger räumlicher und zeitlicher Tatzusammenhang

Flucht verdächtig - liegt vor, wenn - nach den erkennbaren Umständen des Falles unter Berück-
sichtigung allgemeiner Erfahrungen - vernünftigerweise die Annahme gerechtfertigt ist, der Betroffene werde sich der Verantwortung durch die Flucht entziehen, wenn er nicht alsbald festgenommen wird.

Abs. 2

(2) Die Staatsanwaltschaft und die Beamten des Polizeidienstes sind bei Gefahr im Verzug auch dann zur vorläufigen Festnahme befugt, wenn die Voraussetzungen eines Haftbefehls oder eines Unterbringungsbefehls vorliegen.

Voraussetzungen eines Haftbefehls - § 112 StPO: dringender Tatverdacht + Haftgründe insb. Fluchtgefahr: besteht, wenn bei umfassender Würdigung der Umstände des Einzelfalles es aufgrund bestimmter Tatsachen wahrscheinlicher erscheint, daß der Beschul- digte, statt sich dem Strafverfahren zu stellen, sich diesem entziehen werde
________________________________

Grundlegende Differenz:

Abs. 1: Auf frische Tat - Abs. 2: dringender Tatverdacht
Abs. 1: Fluchtverdacht - Abs. 2: Fluchtgefahr

Unterm Strich in einfachen Worten:

- Abs. 1 fällt bereits flach, sollte der Täter in der Sachbearbeitung nachermittelt worden sein. Der Verdachtsgrad muss sich folglich vor Ort zwischen "bei der Tat beobachtet" und mind. dringendem Tatverdacht bewegen, alles Sonstige fällt bereits raus und muss über Abs. 2 bearbeitet werden.

- Fluchtgefahr ist restriktiver auszulegen als der Verdacht. Zur Annahme des Fluchtverdachtes reichen subjektiv wahrgenommene Umstände.

Angewendet auf's Fallbeispiel der Feststellung eines Täters, welcher sich z.b. noch mit Beute vom Tatort entfernt, bedeute das, dass vor Ort in den seltensten Fällen bereits eindeutige Tatsachen vorliegen, welche einen Haftbefehl begründen. Da dies aber zwingende Voraussetzung nach Abs.2 ist, wäre eine Festnahme nach selbiger Norm in diesem Stadium rechtswidrig. "Auffangtatbestand" bildet dann Abs. 1, da sich der Verdacht, der Täter entziehe sich der weiteren Strafverfolgung, subjektiv betrachtet in den meisten Fällen ergibt.

Gar nicht mal so rechtstheoretisch! Täter vor Ort -> Abs.1 -> Ermittlung etwaiger Haftgründe -> Abs.2 -> Vorführung

Tolles Thema, diese Flagranzfestnahme! :zustimm:
Das würde ich so unterschreiben.


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Re: 127 I StPO

Beitragvon berlinmitteboy » Mi 8. Mär 2017, 19:06

Es ist ja nicht so,dass wir es schon Seiten zuvor geklärt hätten.

Aber tolle Zusammenfassung...Bienchen!


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Re: 127 I StPO

Beitragvon Diag » Mi 8. Mär 2017, 19:09

hoschi: Schön vereinfacht dargestellt unter Weglassung der Feinheiten, die gerade der Grund für die Diskussion hier sind.

Du erwischst Kalle, den Du seit Jahren kennst, nachdem er eine Straftat begangen hat. Du weißt, wo er wohnt, er hat sogar noch seinen Ausweis einstecken. Dann hast Du also keinen Grund mehr, ihn nicht gehen zu lassen...

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Re: 127 I StPO

Beitragvon SirJames » Mi 8. Mär 2017, 20:19

Diag hat geschrieben:hoschi: Schön vereinfacht dargestellt unter Weglassung der Feinheiten, die gerade der Grund für die Diskussion hier sind.
Zustimmung.

@ Hoschi:

Es ist ja nicht so, dass rechtlichen Fragestellungen seit jeher unterschiedliche Ansichten innewohnen, was die Diskussion hier belegt, die im übrigen bis dato zu einem großen Teil sachlich und zielführend geführt wurde. Im übrigen sei mir die Bemerkung erlaubt, dass ich Deinen Beitrag als sehr herablassend und mithin - wie sagtest Du so schön - ein wenig defizitär empfand.

Gruß
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Re: 127 I StPO

Beitragvon hoschi101 » Mi 8. Mär 2017, 22:00

Ich räume ehrlicherweise ein, die Formulierung des ersten Absatz meines Beitrages war überzogen und freilich unangemessen :tot: Also dickes SORRY für den Ausfaller! :buhu:

Intendiert wurde, Kritik an der mMn. vorhandene Mentalität des "Das haben wir schon immer so gemacht" zu üben.
"Naja, das ganze ist wohl eher rechtstheoretisch."
"Es wird vermutlich lediglich ein Problem der Rechtstheorie bleiben.
Tatsächlich ist es egal, ob der Polizist 127 II sagt, sein Gerichtsbezirk jedoch der Auffassung der Theorie mit 127 I folgt."
Auch alle Feinheiten, über die hier Uneinigkeit besteht, lassen sich bzw. müssen sich über die jeweiligen materiellen Voraussetzungen subsumieren lassen.

Nach nochmaliger Lektüre der Beiträge muss ich feststellen, dass @SirJones bereits konsequent und nachvollziehbar durch das Thema geführt hat! Gefällt mir! :zustimm:

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Re: 127 I StPO

Beitragvon Controller » Mi 8. Mär 2017, 22:17

ohne nachzuschlagen ordne ich die Zitate aber nur einer einzigen Person zu :tot: :tot:

Man kann den Verfasser sogar mitzitieren :pfeif:

Und merci für dein
hoschi101 hat geschrieben:dickes SORRY für den Ausfaller
Regeln sind wie Donuts, sie haben Löcher.
Und darin lebt der Ermessensspielraum. :mrgreen: :zunge:

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Re: 127 I StPO

Beitragvon SirJames » Mi 8. Mär 2017, 22:47

hoschi101 hat geschrieben:Ich räume ehrlicherweise ein, die Formulierung des ersten Absatz meines Beitrages war überzogen und freilich unangemessen :tot: Also dickes SORRY für den Ausfaller! :buhu:

Intendiert wurde, Kritik an der mMn. vorhandene Mentalität des "Das haben wir schon immer so gemacht" zu üben.
"Naja, das ganze ist wohl eher rechtstheoretisch."
"Es wird vermutlich lediglich ein Problem der Rechtstheorie bleiben.
Tatsächlich ist es egal, ob der Polizist 127 II sagt, sein Gerichtsbezirk jedoch der Auffassung der Theorie mit 127 I folgt."
Auch alle Feinheiten, über die hier Uneinigkeit besteht, lassen sich bzw. müssen sich über die jeweiligen materiellen Voraussetzungen subsumieren lassen.

Nach nochmaliger Lektüre der Beiträge muss ich feststellen, dass @SirJones bereits konsequent und nachvollziehbar durch das Thema geführt hat! Gefällt mir! :zustimm:
Moin,

wie ich schon oft festgestellt habe, ist es in einem Forum aufgrund fehlenden persönlichen Kennens des Gegenübers manchmal schwierig rein schriftliche Beiträge auch in den Zwischentönen richtig einzuschätzen. Ich habe mich hier auch schon im Ton vergriffen.

Allet jut.

Gruß
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