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Kampf gegen Schwarzarbeit
So wirkungslos sind die teuren Anti-Mafia-Kommandos
Von Michael Gassmann | Stand: 30.01.2018
Großrazzia in Nordrhein-Westfalen: Spezialeinheiten von Zoll und Polizei gehen gegen Schwarzarbeit im Baugewerbe vor. Es soll mehrere Zugriffe gegeben haben.
Quelle: WELT
Mit einer Großrazzia gehen tausende Beamte gegen organisierte Schwarzarbeit vor. Doch am Bau sind Mafia-Strukturen offenbar kaum auszurotten. Das Unrechtsbewusstsein ist gering. Und die Zollfahnder kosten den Steuerzahler Unsummen.
Zumindest in diesem Punkt sind sich Arbeitgeber, Gewerkschaften und staatliche Stellen einmal einig: Schwarzarbeit ist schädlich. Sie gehöre energisch bekämpft. Auf 875 Millionen Euro jährlich hat das Bundesfinanzministerium zuletzt den Schaden geschätzt, der vor allem durch hinterzogene Steuern und Sozialabgaben entsteht. „Besonders davon betroffen ist die Bauwirtschaft“, heißt es in einem Papier des Zentralverbands des deutschen Baugewerbes. „Ausmaß und Erscheinungsformen von Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung sind nach wie vor bedrohlich.“
Immer wieder macht daher die Zollabteilung „Finanzkontrolle Schwarzarbeit“ (FKS) vor diesem Hintergrund mit aufsehenerregenden Razzien von sich reden. Am Dienstag rückte die Soko „Moses“, bestehend aus rund 1100 Zoll- und Polizeibeamten, in Nordrhein-Westfalen gegen die organisierte Schwarzarbeit am Bau vor. Bei der Großrazzia gab es Haftbefehle, Durchsuchungen und acht Festnahmen. So wie im Juni 2017 im Rhein-Main-Gebiet, als über 1000 Ermittler gleichzeitig zugriffen, oder Anfang 2016 im Münsterland.
Bei der Razzia soll es sich um die größte Razzia dieser Art der Landesgeschichte handeln
Organisierte Schwarzarbeit
Mafiaähnlich organisierte Banden, die Bauleistungen mit hoher krimineller Energie und, teils in der Nähe des Menschenhandels agierend, am Staat vorbei wirken, stellen allerdings nur einen Teil des Phänomens dar.
Der österreichische Forscher Friedrich Schneider, der als europaweit führend im Bereich Schattenwirtschaft gilt, schätzt, dass in Deutschland „zwischen neun und elf Millionen Menschen“ schwarzarbeiten. Davon allein bis zu drei Millionen in Privathaushalten – als Putzhilfe, Babysitter oder Privatgärtner. Zum Vergleich: Gerade 47.000 private Haushaltshilfen sind mit sozialversicherungspflichtigen Jobs angemeldet. Den Gesamtwert der illegal erbrachten Arbeitszeit taxieren Experten auf bis zu 140 Milliarden Euro.
Schwarzarbeit gilt als Kavaliersdelikt
Das Unrechtsbewusstsein ist generell gering. Schwarzmalochen gilt als Kavaliersdelikt. In einer Umfrage wurde sogar Schwarzfahren in Bus und Bahn als moralisch verwerflicher eingestuft. „Schwarzarbeit gilt als ,Steuerhinterziehung des kleinen Mannes‘, mit der gegen zu hohe oder als ungerecht empfundene Steuern und Sozialabgaben ,protestiert‘ wird“, sagt der Experte Dominik Enste vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW).
Der Staat geht seit ziemlich genau 60 Jahren gegen die Mogeleien vor: Das Gesetz zur Bekämpfung von Schwarzarbeit trat am 30. März 1957 in Kraft. Die Sanktionen reichen von Geldstrafen bis zu mehrjährigen Haftstrafen. Die Verfolgungsbehörden konzentrieren sich indes auf die schweren Fälle. „Die Schaffung einer Haushaltspolizei ist nicht vorgesehen“, schreibt Enste in einer Studie. „Das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung bleibt unangetastet.“ Das war nicht immer klar. Vor einigen Jahren war eine Ausweitung der Recherchen in Privathaushalten im Gespräch, doch erwies sich der Plan als politisch nicht durchsetzbar.
Die Konzentration auf schwere Fälle hat einen weiteren Grund: Die FKS steht selbst unter Rechtfertigungsdruck. Der Bundesrechnungshof hat vor einigen Jahren eine kritische Bilanz von Aufwand und Erträgen ihrer Arbeit gezogen. Danach lag die Quote der Einnahmen von Fiskus und Sozialversicherung bei jährlich nur rund fünf bis zehn Prozent der berichteten Schäden.
Sinkende Schwarzarbeit liegt an guter Konjunkturlage
Im Jahr 2015 etwa seien der Öffentlichkeit Schäden von mehr als 800 Millionen Euro präsentiert worden, schreibt Enste: „Tatsächlich wurden aber nur Geldstrafen in Höhe von knapp 29 Millionen Euro und Bußgelder in Höhe von rund 43 Millionen Euro verhängt und noch weniger tatsächlich gezahlt.“ Gleichzeitig kosteten die 6700 über 100 Standorte in ganz Deutschland verteilten FKS-Beamten den Staat jährlich über 400 Millionen Euro.
Schwarzarbeit und Schattenwirtschaft sind insgesamt auf dem Rückzug. Nach einer kürzlich veröffentlichten Studie von Schneider wurden 2017 rund 10,4 Prozent des offiziellen Bruttoinlandsprodukts am Staat vorbei erbracht. 2003 hatte dieser Anteil noch bei 16,7 Prozent gelegen.
Hauptgrund für die Schrumpfung ist allerdings laut Schneider nicht der Verfolgungsdruck, sondern die gute Konjunkturlage: „Wenn ich gutes Geld verdiene und auch nach Bedarf Überstunden machen kann, brauche ich nicht schwarz zu arbeiten.“ Käme die Rezession zurück, würde auch die Schwarzarbeit wohl wieder wachsen.