Gewahrsamnahme "zu hart": Richterin verurteilt Polizisten

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Moderator: schutzmann_schneidig

der kanadier
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Re: Gewahrsamnahme "zu hart": Richterin verurteilt Poliziste

Beitragvon der kanadier » Fr 18. Mär 2016, 21:38

@ inspektor

Sehe ich nicht so, nur weil er auf den Boden gebracht wurde liegt nicht zwangsläufig ein 113 vor. Uzw geht auch ohne Widerstandsanzeige, dafür mit ner ordentlichen Kostenrechnung.

Der SV ist einfach zu dünn um ihn vom bequemen Sofa aus zu beurteilen. Ich würde aber vermuten, dass man die ganze Sache nicht ausreichend dokumentiert hat.

Und dass es in deutschen Großstädten noch immer keine ganztägige Richterrufbereitschaft gibt ist erbärmlich, zum Glück ist es bei uns anders

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Re: Gewahrsamnahme "zu hart": Richterin verurteilt Poliziste

Beitragvon 1957 » Fr 18. Mär 2016, 23:50

Springer,

zugegeben, deinen Hinweis auf Hessen habe ich überlesen und ging von einer allgemeingültigen Aussage aus.
Durch eine DA wird eine untersagte Maßnahme allerdings nicht obligatorisch juristisch rechtswidrig.
Für mich ist es ein problematischer Ansatz, jemanden aufgrund einer DA gegen seinen WIllen im PG einzusperren, wenn der EInzelfall andere Möglichkeiten indiziert.

Ghosti,

der berühmte Spruch wurde von dir pauschal und undifferenziert erwähnt. Nur darauf zielt meine Kritik.
Ansonsten müssen die Einzelfallumstände bewertet werden. Dann kann es durchaus auch zu einer solchen "Taxifahrt" kommen.

springer
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Re: Gewahrsamnahme "zu hart": Richterin verurteilt Poliziste

Beitragvon springer » Fr 18. Mär 2016, 23:52

1957 hat geschrieben:Springer,

zugegeben, deinen Hinweis auf Hessen habe ich überlesen und ging von einer allgemeingültigen Aussage aus.
Durch eine DA wird eine untersagte Maßnahme allerdings nicht obligatorisch juristisch rechtswidrig.
Das bestreite ich gar nicht - aber es kann auf jeden Fall ein Diszi geben. Und genau deswegen ist das auch keine Lösung, die DA einfach zu ignorieren.

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Re: Gewahrsamnahme "zu hart": Richterin verurteilt Poliziste

Beitragvon hellbert » Fr 18. Mär 2016, 23:55

Bedenklich finde ich, dass sowohl StA als auch die Richterin das Polizeigesetz offensichtlich so verinnerlicht haben. Immerhin 2 Volljuristen...
1957 hat geschrieben:Der dumme Spruch " Polizei ist kein Taxiunternehmen" ist ein Ausdruck unbedachter Arroganz.
Wenn eine solche Maßnahme in Betracht kommt ist sie auch gegenüber einer Freiheitsentziehung/beschränkung angebracht. Ganz gleich was da der einzelne Polizist drüber denkt.
Wollte eigentlich was dazu schreiben, weiß aber gerade nicht ob ich lachen oder heulen soll.

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Re: Gewahrsamnahme "zu hart": Richterin verurteilt Poliziste

Beitragvon 1957 » Sa 19. Mär 2016, 00:01

Na ja, du kannst ja loslegen, wenn du dir darüber im Klaren bist.


Springer,

ich kenne Eure DA nicht. Leider gibt das Netz dazu nichts her. Würde mich aber schwer damit tun, zumal es auch nach Hessischen Verwaltungsrecht zumindest im Schrifttum zulässigen Verbringungsgewahrsam gibt.
Aber natürlich. Eine DA ist grundsätzlich zu beachten.

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Re: Gewahrsamnahme "zu hart": Richterin verurteilt Poliziste

Beitragvon hellbert » Sa 19. Mär 2016, 03:15

Ne, dabei würden wir uns nur in die Haare kriegen. :frown:
Jemanden heimzufahren ist meiner Meinung nach aus so vielen Gesichtspunkten untragbar und schaft sicher mehr Probleme als gelöst werden.

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Re: Gewahrsamnahme "zu hart": Richterin verurteilt Poliziste

Beitragvon 1957 » Sa 19. Mär 2016, 04:10

Ach Hellbert,

das ist doch wieder nur eine pauschale Antwort. Der Alltag zeigt doch, dass dieses "Heimfahren" mitunter geboten ist und i.d.R. auch entsprechenden Einsatzerfolg hat. Bei uns gehört das jedenfalls mit ins Handlungsrepertoire.
Ich sage ja auch nicht, dass in jedem Fall ein Besuch im PG o.ä. angebracht ist.

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Re: Gewahrsamnahme "zu hart": Richterin verurteilt Poliziste

Beitragvon vladdi » Sa 19. Mär 2016, 06:09

Jemanden nach Hause zu fahren ist eine Alternative.
Was in Hessen dort durch ein DA geregelt ist, halte ich für ungünstig.
Jemandem zum Stadtrand fahren und dort aussetzen, ist (hoffentlich) mittlerweile überall verboten.

Durch die Alternative 'jemanden nach Hause fahren' sind die anderen Alternativen (Taxi, abholen lassen, etc) nicht belanglos.

Wenn es eine erfolgversprechende geringere Maßnahme zum Gewahrsam gibt, dann ist diese anzuwenden.

Fraglich wie das jetzt in Hessen ist. Ich hätte Schwierigkeiten, wenn ich auf der einen Seite eine DA habe und auf der anderen Seite die Verhältnismäßigkeit, die Verfassungsrang hat, und eine Freiheitsentziehung /-beraubung.

Taxi: nach einer Fahrt nach Hause, bleibt natürlich die Kostenfrage. Eine solche Fahrt darf der Herr gerne bezahlen.

Ob eine Fahrt nach Hause, das (zwangsweise) Verbringen zur nächsten Straßenecke, das abholen lassen von Angehörigen oder der Gewahrsam angezeigt ist, muss der Beamte vor Ort entscheiden.
Diese Entscheidung muss einer Prüfung standhalten. Dazu müssen mildere Mittel ausgeschlossen sein.
Die Richterin sagte, dass es den Polizisten darauf an kam den Mann aus dem Verkehr zu ziehen. Das muss mir keine Richterin sagen; das steht in meiner Papierlage (worauf es mir ankommt). Bei Gewahrsam kommt es mir drauf an, dass diese Person aus dem Verkehr gezogen ist! Und dazu müssen eben die milderen Alternativen ausgeschlossen sein (wie bei jedem stärkeren Eingriff) und das muss deutlich aus den Akten (und der eigenen Vernehmung) hervorgehen.
Zuletzt geändert von vladdi am Sa 19. Mär 2016, 07:43, insgesamt 2-mal geändert.

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Re: Gewahrsamnahme "zu hart": Richterin verurteilt Poliziste

Beitragvon Ghostrider1 » Sa 19. Mär 2016, 07:00

@1957
Klar kann eine Heimfahrt geboten sein, dass bestreitet doch auch keiner. Ich habe Leute auch schon nach Hause gefahren.
Wir reden hier aber über diesen Sachverhalt und nicht über zwölftrillionen andere möglichen Einsätze.
Wenn dann eine Ansage kommt, dann bezieht die sich doch sehrwohl auf diesen Sachverhalt.
Deswegen stehe ich weiterhin zu meiner Aussage. Die Punkte, wo ich mich bereit erklären würde, habe ich erwähnt.
Ich habe kein Problem, dem Bürger ein Taxi zu rufen und zu warten bis er eingestiegen ist.

Verhält sich einer unkooperativ, ist die Option, diesen ins Fahrzeug zu bringen und nach Hause zu fahren, dass Letzte was ich prüfe. Gem. den Angaben war er unkooperativ.

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Re: Gewahrsamnahme "zu hart": Richterin verurteilt Poliziste

Beitragvon Inspektor_GER » Sa 19. Mär 2016, 07:34

der kanadier hat geschrieben:Sehe ich nicht so, nur weil er auf den Boden gebracht wurde liegt nicht zwangsläufig ein 113 vor.
Da gebe ich dir recht. Allerdings liefert meiner Erfahrung nach in vielen Fällen ein 113 den Grund für den Zwang. Diesen dann nicht anzuzeigen, ist taktisch sehr unklug.

Die Verwaltungsvorschrift zum HSOG wurde übrigens überarbeitet und der Verbringungsgewahrsam, der vor einigen Jahren noch als schöne Alternative angepriesen wurde, gestrichen.

Zur Ingewahrsamnahme zwecks Durchsetzung des Platzverweises findet sich nun folgender Passus:
32.1.2
Anstelle einer Ingewahrsamnahme nach Nr. 3 kann eine betroffene Person mit ihrem Einverständnis an eine Örtlichkeit, zu der ein persönlicher Bezug besteht oder hergestellt werden kann, (zum Beispiel Wohnsitz, Obdachlosenübernachtungsstätte, Drogenhilfseinrichtung) verbracht werden.
Hier haben wir es also schwarz auf weiß: Auch eine Fahrt zur Wohnung des Betroffenen ist nur mit dessen Einverständnis möglich, das in hiesigem Sachverhalt offensichtlich nicht vorlag (er wollte zur Not die ganze Nacht vor dem Haus warten).

Wer schreibt, der bleibt.

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Re: Gewahrsamnahme "zu hart": Richterin verurteilt Poliziste

Beitragvon vladdi » Sa 19. Mär 2016, 07:52

@Ghosti

Genau! Es geht um diesen Sachverhalt. Und für genau diesen Sachverhalt hat die Richterin, nach Akteneinsicht, Vernehmung und Hauptverhandlung entschieden, dass der Gewahrsam (so) nicht rechtens war.

Dass du die Prüfung milderer Maßnahmen nach Kooperation abhänging machst, klingt unschön. Aber ich unterstelle dir / hoffe für dich, dass das nur Worte sind.
Die Verhältnismäßigkeit ist ja kein freundliches Entgegenkommen der Polizei zu netten, freundlichen 'Kunden', die sich das verdient haben, sondern gilt auch für Maßnahmen gegen Stinkstiefel.

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Re: Gewahrsamnahme "zu hart": Richterin verurteilt Poliziste

Beitragvon SirJames » Sa 19. Mär 2016, 08:40

Moin,

Vladdi, es wurden hier aus meiner Sicht u.a. zwei stichhaltige Argumente gegen ein Verbringen nach Hause vorgebracht, namentlich die Unzulässigkeit eines Verbringungsgewahrsams und Zweifel an der Geeignetheit des nach Hause bringens zur Abwehr der Gefahr als solcher. Was daran unschön sein soll, ist mir nicht verständlich. Wenn ein Verbringungsgewahrsam unzulässig ist, warum soll ich den als milderes Mittel prüfen? Und wenn der Betroffene deutlich macht, das er dem PV nicht nachkommt, was hält ihn davon ab wieder von zu Hause zur Örtlichkeit zurück zu kommen?

Möglicherweise ist dem Gericht die Weisungslage nicht bekannt gewesen. Möglicherweise war die Dokumentation seitens der Kollegen zu dünn. Ohne Urteilsbegründung wird es schwierig in der Tiefe zu diskutieren.

Überdies empfinde ich es als Sauerei, dass die Justiz vielerorts nicht in der Lage ist eine 24/7/365 Bereitschaft zu gewährleisten und im Zweifel dann die Kollegen eine vor den Bug bekommen. Anlässlich solcher Sachverhalte wäre es Zeit da mal Druck zu machen, seitens der Behördenleitungen und Ministerien.

Abgesehen davon halte ich persönlich es so, dass ich bei Gewahrsamnahmen meinem Wachleiter den Sachverhalt ausführlich schildere und er dann auch regelmäßig anordnet. Der Vorgang geht im Rahmen der Qualitätssicherung ja dann auch nochmal über seinen Tisch.

Gruß
Zuletzt geändert von SirJames am Sa 19. Mär 2016, 08:57, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Gewahrsamnahme "zu hart": Richterin verurteilt Poliziste

Beitragvon vladdi » Sa 19. Mär 2016, 08:54

Ja.
Problem hier ist, dass die Entscheidung einer Prüfung nicht stand gehalten hat.

Ich bin der Überzeugung, dass die meisten Maßnahmen einer Prüfung standhalten; speziell derer, die sich Gedanken mach (z.B. die die hier diskutieren).

In dem Fall jedoch ist entweder die Richterin oder die PVB auf dem falschen Ast.

Was mich ein wenig auf die Seite der Richterin zieht - wenn man hier einer Seite zustimmen will - ist weniger der Gewahrsam / das nicht nach Hause bringen, als das was vorher lief.

Einen Platzverweis kann man mit Zwang durchsetzen aber ist das zu Boden stoßen richtig(er) oder kann man abführen?

Ich weiß nicht, was da los war. Ich kenne die PVB nicht. Aber ich weiß genau, was ich mir an denen betrachten würde.

Zu Boden stoßen, Gewahrsam ist alles möglich. Kann alles rechtens sein und einer Prüfung standhalten.

Was war hier los? Warum musste der Herr zu Boden gestoßen werden? Warum findet sich zu dem Grund nichts im Sachverhalt? Warum bewertet die Richterin das als Körperverletzung im Amt und kommt in der Folge zu dem Schluss dass der Gewahrsam rechtswidrig war? Sie kennt die Akten, sie hat die Personen vernommen, Zeugen gehört.

Lone Soldier

Re: Gewahrsamnahme "zu hart": Richterin verurteilt Poliziste

Beitragvon Lone Soldier » Sa 19. Mär 2016, 10:07

Ja die Maßnahme hat einer Prüfung nicht stand gehalten. Und zwar einer Prüfung von jemandem der scheinbar fast null Ahnung vom Gefahrenabwehrrecht hat. Aber vielleicht können mir die Verfechter der Richterin folgende Fragen beantworten:

-Warum sollte ein Verbringungsgewahrsam rechtmäßig sein, wenn die konkrete Gefahr verneint wird? Mein PolG verlangt bei dem Nichtvorliegen einer Gefahr, dass der Proband da stehen kann, so lange er will.

-Warum ist unmittelbarer Zwang als rechtswidrig angesehen worden, wenn die Richterin selber die Rechtmäßigkeit eines Verbringungsgewahrsams bejaht und der Betroffene scheinbar wenig gewillt war dem Folge zu leisten?

-Wäre der Verbringungsgewahrsam ohne weitere Beaufsichtigung des Herren eine geeignete Maßnahme vor dem Hintergrund gewesen, dass man ihn nur mit Zwangsmaßnahmen vor Ort entfernen konnte?

Und kennt die Richterin überhaupt den konkreten Gefahrenbegriff im PolG? Wenn sich da einer vor der Tür so gebährdet, dass die Leute sich mit Fug und Recht nicht mehr aus ihrem Haus trauen, kann ich die Gefahr ohne Klimmzüge bejahen. Ich sehe gute Chancen in der nächsten Instanz.

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Re: Gewahrsamnahme "zu hart": Richterin verurteilt Poliziste

Beitragvon Ghostrider1 » Sa 19. Mär 2016, 10:19

Ich wette die Dokumentation war sch****. Der Fall schien klar. Zick zack, schnell etwas zu Papier gebracht, färtsch. Sowohl Kollegen als auch Strafrichter sind nicht immer sattelfest im Gefahrenabwehrrecht. Dann passiert so etwas.

Wir leben in einem Rechtsstaat. Den Kollegen steht der Rechtsweg offen. Bei der Sachlage (soweit bekannt) kann man darüber nachdenken.


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