da in der Vergangenheit in den einschlägigen Schießthreads von Seiten etlicher Kollegen (gerade solchen, die sich noch in der Ausbildung befinden) immer wieder die Frage nach empfehlenswerter Literatur zum Thema Schießtraining aufgekommen ist, habe ich mir mal ein bißchen Zeit genommen (immerhin ist das Weihnachtsshopping endlich beendet) und ein paar Zeilen zu denjenigen Büchern in meinem Bücherregal geschrieben, die ich zu diesem Thema als sehr lesenswerte Literatur ansehe.
Surgical Speed Shooting: How To Achieve High-Speed Marksmanship In A Gunfight
(Andy Stanford/Paladin Press)
Preis: ab 10,95 €
Der Startpunkt für den Anfänger. Dieses Taschenbuch erklärt in kompakter Form alles, was zum grundlegenden Handwerkszeug im professionellen einsatzmäßigen Umgang mit einer Kurzwaffe gehört. Griff, Anschlag, Waffenhandhabung, Ziehvorgang, Visierung, Schießtechnik werden umfassend behandelt und es wird nachdrücklich das „Warum“ der ganzen Geschichte erläutert. Der Autor verfügt über Referenzen, die sowohl einsatzmäßiges Schießen als auch erhebliche sportliche Erfolge im IPSC umfassen. Neben seiner Tätigkeit im Bereich der Schießausbildung und des Wettkampfsports war Stanford zeitweise als Analytiker für das US-Verteidigungsministerium tätig, und seine äußerst klare und strukturierte Denk- und Schreibweise zeichnen sowohl seine Bücher als auch (dem Vernehmen nach) seine Seminare aus.
Da selbst heutzutage noch lange nicht in allen polizeilichen Ausbildungsstätten die schießtechnischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte angekommen sind bzw. vermittelt werden, lege ich dieses Buch jedem interessierten Kollegen (und insbesondere jedem Dienstanfänger) ans Herz, der seine Schießleistungen nachhaltig verbessern möchte.
Die zwei nächsten Bücher stammen aus dem sportlichen Bereich des IPSC-Schießens und beschäftigen sich insofern nicht mit den taktischen Inhalten eines „Gunfight“, sondern ausschließlich mit den technischen, motorischen, visuellen und mentalen Aspekten schießtechnischer Problemlösung. Auf Deutsch gesagt: wie bringe ich meine Waffe und mich selbst dazu, unter allen möglichen Umständen möglichst schnell und präzise alles zu treffen, was ich will.
Ich halte diese Inhalte trotz (oder gerade wegen) ihrer nichttaktischen Ausrichtung für den interessierten Berufswaffenträger nicht unwichtig, weil es hierbei darum geht, so gute Schießfertigkeiten zu entwickeln, daß die eigene Waffe buchstäblich zur Verlängerung des eigenen Arms wird und der Schütze ohne bewußte Anstrengung „von alleine“ alles tut, was zum schnellstmöglichen Treffen des Ziels notwendig ist. Das Bewußtsein, seine Schießfertigkeiten genau zu kennen und (im Rahmen der eigenen Fähigkeiten) binnen kürzester Zeit alles treffen zu können, was man will, ist meiner Ansicht nach ein sehr sinnvolles Attribut, weil es dringend benötigte mentale Kapazitäten freisetzt, die für andere wichtige Teile der Einsatzbewältigung eingesetzt werden können.
Shooting From Within
(J. Michael Plaxco/Zediker Publishing)
Preis: ab 19,95 US$
Der Autor erläutert zunächst umfassend die technischen Grundlagen des „practical shooting“. Dabei weist er darauf hin, daß Techniken zwar nichts „Heiliges“ sind und immer wieder hinterfragt und ggf. modifiziert werden müssen, daß aber eine wirkliche Entwicklung zu einem guten Schützen erst dann erfolgen wird, wenn er diejenige Technik, die ihm eine optimale Performance erlaubt, so sehr verinnerlicht hat, daß er sie unbewußt ausführt. In der technischen Sektion dieses Buches erläutert er umfangreich und in vielen Details die Grifftechnik, Rückstoßmanagement, Anschlag, Körperspannung, Ziehvorgang, Magazinwechsel usw.
Im weiteren Verlauf des Buches läßt der Autor die bloße „handwerkliche“ Technik des Schießens hinter sich und beschäftigt sich mit der mentalen Seite der Angelegenheit, namentlich mit gedanklichen Konzepten wie Fokus, Konzentration und Aufmerksamkeit. Hier werden bestimmte Dinge aus einer sportspezifischen Warte betrachtet und können nicht mehr 1:1 auf eine einsatzbezogene Sichtweise übertragen werden. Nichtsdestotrotz können auch hier wertvolle Hinweise über die Einflüsse der mentalen Verfassung auf Schießleistungen gewonnen und die eigene Performance im Training analysiert werden.
In einem weiteren Kapitel geht es um die praktische Umsetzung der erlernten technischen Inhalte in einer konkreten gegebenen schießtechnischen Aufgabe (u.a. Wettkampf). Ein erhebliches Augenmerk wird hierbei auf die Art und Weise unserer visuellen Wahrnehmung, Fokussierung, Visierbild und Einschätzung des abgegebenen Schusses gelegt. Weiterhin werden fortgeschrittene technische Inhalte wie das Beschießen von mehreren Zielen, von bewegten Zielen oder aus einer Bewegung des Schützen heraus behandelt. In den letzten beiden Sektionen des Buchs finden sich zum einen diverse Ratschläge zu Trainingsgestaltung, Beispielübungen und Ausrüstung, und zum anderen ein kurzer Abriß zur Übertragung der vermittelten Lehrinhalte auf Langwaffen. Letzterer ist allerdings relativ kurz und beinhaltet lediglich einige allgemeine Anmerkungen und die Darstellung der gängigen klassischen Anschläge mit Langwaffen.
Plaxco schreibt aus der Erfahrung einer langjährigen erfolgreichen Wettkampfkarriere an der Weltspitze in den dynamischen Schießsportdisziplinen. Seine detailreichen und immer von vielfachen persönlichen Erlebnissen geprägten Ausführungen zu den diversen technischen, motorischen und mentalen Fragen rund um das schnelle, präzise Schießen mit Großkaliberwaffen geben Antworten auf nahezu alle Fragen, die einem zu dem Thema einfallen können. Abgerundet wird das mit einer Vielzahl an aussagekräftigen Schwarz-Weiß-Fotos, die die erläuterten Inhalte klar und nachvollziehbar abbilden. Wer ernsthaft in das Wie und Warum des praktischen Schießens einsteigen und die weitere Entwicklung seiner persönlichen Schießfähigkeiten selbst in die Hand nehmen will, anstatt sie einem Ausbilder zu überlassen (dessen Qualifikation sich oftmals auf einen Zwei-Wochen-Lehrgang beschränkt), sollte dieses Buch ernsthaft in Erwägung ziehen.
Practical Shooting: Beyond Fundamentals
(Brian Enos/Zediker Publishing)
Preis: ab 20,95 US$
Wie der Titel sagt, richtet sich dieses Buch im Grunde nicht an den Anfänger, sondern eher an den Schützen mit einiger Erfahrung, der sich solide Grundlagen angeeignet hat und nun nach weiteren Denkanstößen für die weitere Gestaltung seines Trainings und seiner Herangehensweise an den Themenkomplex „Schießen mit der Kurzwaffe“ sucht. Der Autor stellt im Vorwort fest, daß sich dieses Buch nicht explizit an den Berufswaffenträger richtet, diesen jedoch auch nicht ausschließt, da es sich schwerpunktmäßig weder mit Defensivschießen noch mit Sportschießen befaßt, sondern einfach mit dem globalen Oberbegriff „Schießen“:
Der Schwerpunkt des Buches liegt im Gegensatz zu anderen Publikationen auf diesem Gebiet eindeutig nicht bei technischen Aspekten im Sinne von "Schräubchenkunde", sondern bei dem, was hinter den Augen des Schützen geschieht. Einiges davon wirkt zunächst tatsächlich etwas philosophisch; einige Passagen wecken Assoziationen mit Zen-Rätseln. Tatsächlich lohnen sich aber gerade diejenigen Abschnitte, die scheinbar weniger mit dem eigentlichen motorischen Ablauf des Schießens zu tun haben. Der Autor äußert bereits zu Beginn des Buches, daß er selbst sehr viel aus Quellen gelernt hat, die mit Schießen vordergründig gar nichts zu tun haben (Golf, Kampfsport, Motorsport), und daß er im Grunde das Ziel verfolgt, daß auch ein Tennisspieler, Skisportler oder sonstiger Athlet das Buch lesen und davon profitieren kann. Das Buch handelt also in wesentlichen Teilen von menschlicher Leistungssteigerung bei körperlichen Aktivitäten am Beispiel des Schießens.Brian Enos hat geschrieben:The omission of any and all defensive tactics or use of handguns for anything but target sports was entirely intentional. I'll leave the street stuff to the other guys. To me, shooting is a sport, nothing more, nothing less. But practical shooting does teach a life-saving skill. If I had to save myself or someone else from drowning, I'd much rather be an Olympic swimmer. That's the same correlation I make with practical pistol shooting. Practical shooting develops high-speed gunhandling ability and refines everything to such a reflexive level that I'm confident of my ability to shoot. Learning tactics is a different story, and I don't confuse the two.
[...]
This book is directly geared to the practical pistol shooter who is interested in improving his shooting skills, whether he's defense-oriented or comptetition-oriented. We all shoot for different reasons, but when you get right down to it, the aspects of the shooting are no different. I am tired of the all the friction between „martial artists“ and „gamesmen“ [...]
Folgerichtig beginnt das Buch mit einem umfangreichen Kapitel über die mentale Voraussetzung von körperlichen Hochleistungen, in dem Begriffe wie „awareness“ (ich kann das gerade nicht passend übersetzen; gemeint ist ein nicht durch gezieltes Nachdenken gesteuertes ganzheitliches Bewußtsein dessen, was gerade um mich herum passiert), Konzentration, Fokus, Wahrnehmung, gedankliche Leere bzw. Nicht-Denken, Reaktionsfähigkeit und Angewohnheiten. Dabei erläuter der Autor ausführlich und mit vielfältigen Verweisen auf andere Tätigkeiten, unter welchen Bedingungen Höchstleistungen erbracht werden.
Im zweiten Teil geht es um Waffenhandhabung und Schießtechnik. Der Autor stellt hier vorweg, daß Technik kein Selbstzweck sein kann, sondern immer nur Vehikel zu besseren Schießergebnissen. Es ist also nicht entscheidend, sklavisch und millimetergenau an einer bestimmten Technik zu hängen, sondern zu verstehen und umzusetzen, was diese konkrete Technik bezwecken soll. Körperpositionen ändern sich (minimal) bei jedem Schießen, und das Verständnis des „Warum“ ist wichtiger als formale Erwägungen. Der Autor stellt im weiteren diejenigen technischen Verfahren vor, die nach seiner Erfahrung den maßgeblichsten Einfluß auf das Ergebnis haben. Dabei verweist er nachdrücklich darauf, daß vor dem Erlernen von anderen technischen Verfahren in jedem Fall zuerst die Entwicklung einer annehmbaren Grundpräzision stehen muß, und daß der Weg zu guten Leistungen auch im „practical shooting“ nur über regelmäßige Präzisionseinheiten führt, weil die Fähigkeit, unter allen denkbaren Umständen einen präzisen Treffer jederzeit „abrufen“ zu können, unumgänglich ist. Der Autor stellt im weiteren Verlauf des Kapitels Grifftechnik, Anschlag, Körperhaltung, Ziehvorgang und Magazinwechsel vor. Dabei legt er einen Schwerpunkt darauf, keine millimetergenaue Anleitung zu geben, sondern die Mechanik des Schießens anhand von bestimmten Grundprinzipien (Neutralität, Entspanntheit, Symmetrie) zu entwickeln.
Im weiteren Verlauf des Buchs erläutert der Autor die Anwendung der eingangs besprochenen Fähigkeiten auf konkrete Schießsituationen. Er bespricht die unterschiedlichen Fokustypen in Abhängigkeit von Schießgeschwindigkeit und Entfernung und die Manipulation, Kontrolle und das Timing des Abzugs. Weiterhin geht er auf die unmittelbare Einschätzung des Schusses während des Schießens anhand des Feedbacks der Waffe ein und erläutert, auf welchem Wege effektive Steigerungen der eigenen Geschwindigkeit möglich sind. In einem weiteren Kapitel beschäftigt er sich mit einzelnen, besonders schwierigen Situationen wie dem Beschießen von mehreren Zielen, dem einhändigen Schießen und dem Schießen aus diversen nichtstehenden Körperhaltungen.
Im folgenden Kapitel geht es in erster Linie um Wettkampftaktik, Aufbautraining vor einem Match und mentale Vorbereitung, weswegen es weniger Bezüge zu einsatzmäßigem Schießen aufweist. Dafür winken im letzten Kapitel, welches sich mit der praktischen Entwicklung von Fähigkeiten beschäftigt, nochmal eine Vielzahl an Trainingstips, Beispielübungen für alle möglichen Problemstellungen und Hinweise aus der Jahrzehnte unfassenden Trickkiste des Autors. Unter anderem rät er dazu, im Training umfangreichen Gebrauch von einem Timer zu machen. Sobald eine technische Fähigkeit grundsätzlich erlernt worden ist, sollte mit einem Timer trainiert werden, um ständigen Feedback über die eigene Geschwindigkeit zu bekommen. Zwar sieht der Autor Grundpräzision (die natürlich von dem konkreten Trainingszweck abhängig ist) fundamental als wichtiger als Geschwindigḱeit an, er verweist aber darauf, daß praktische Schießfertigkeiten immer eine Zeitkomponente haben und eine Steigerung der eigenen Fähigkeiten immer voraussetzt, sich selber regelmäßig neue Anforderungen und Limits zu setzen. Im Anhang folgen schließlich noch Hinweise zu Ausrüstung, einige Ausführungen zum Schießen mit Revolvern und weitere Trainingstipps.
Brian Enos ist einer (wenn nicht sogar der) erfolgreichste Schütze der internationalen IPSC-Szene und hat gemeinsam mit Rob Leatham die technische Entwicklung des praktischen Schießens über etliche Jahrzehnte wahrscheinlich mehr mitgeprägt als sonst eine einzelne Person. „Practical Shooting: Beyond Fundamentals“ ist vermutlich das meistverkaufte Buch zu diesem Thema und hat in der Szene den Status der Bibel. Es ist eine derjenigen Veröffentlichungen, die nicht nur derart interessant geschrieben sind (und zwar nicht nur für Hardcore-IPSC-Aficionados), daß man es buchstäblich in einem Rutsch weglesen kann, sondern deren Inhalt derart vielschichtig ist, daß man sie (gerade trainingsbegleitend) wieder und wieder lesen kann und immer wieder Neues entdecken wird.
Um es nochmal zu wiederholen: diese Buchempfehlungen beschäftigen sich allesamt ausschließlich mit dem Thema Schießen an sich und gehen nicht auf einsatztaktische Aspekte ein. Wer also Denkanstöße zu Dingen wie Eindringen in Räume, Waffenschutz, Einbindung der Waffe in körperliche Zwangsmaßnahmen, Zusammenarbeit im Team u.ä. sucht, muß sich das anderswo holen.
Um allerdings die eigene Fähigkeit weiterzuentwickeln, die eigene Waffe bis hin zur unterbewußten Ebene komplett zu beherrschen und ohne Nachdenken und Anstrengung genau das zu treffen, was man will, ist man bei den o.g. Autoren durchaus an der richtigen Adresse und wird hier eine unübersehbar große Fundgrube an Konzepten, Tips, Erfahrungen, Hinweisen und Trainingsanregungen finden, die deutlich das Ausmaß überschreitet, das im Allgemeinen im Rahmen der Laufbahnausbildung und innerdienstlichen Fortbildung geboten wird. Als Startpunkt für den hoffnungsvollen Anfänger (aber auch für jeden anderen interessierten Kollegen) empfiehlt sich m.E. wie gesagt zunächst "Surgical Speed Shooting". Wer sich darüberhinaus mit der gezielten Leistungssteigerung jenseits der Basics auseinandersetzen möchte, findet in "Shooting From Within" und "Practical Shooting" genügend Denkanstöße, Ideen und Anregungen, um sich bis zum Pensionsalter damit zu beschäftigen.
Das Trainingsziel „Sicherstmögliche Bewältigung von Hochrisikoeinsätzen“ kann nach allgemeinem Verständnis nur als multidisziplinäres Unternehmen erreicht werden. Zwar hat sich gerade in den letzten paar Jahren überwiegend ein integrativer Trainingsansatz herausgebildet, der bis hin zu Vollszenarien unter Einbindung von Teamarbeit, taktischer Situationsbewältigung und Einsatz aller Einsatzmittel einschließlich (durch Simunitions/FX simulierten) Schußwaffengebrauch reicht, allerdings ändert das nichts an der Notwendigkeit, die dafür notwendigen „handwerklichen“ bzw. technischen Fertigkeiten gesondert und isoliert zu trainieren und fortzuentwickeln.
Ich bin der Ansicht, daß der sinnvollste und erfolgversprechendste Weg in diesem Zusammenhang darin liegt, sich für das Training der einzelnen Subdisziplinen (insbesondere Schießen, körperliche Zwangsanwendung) soweit wie möglich an denjenigen Leuten zu orientieren, die nur und ausschließlich diese eine Sache machen und sie vor allem konsequent leistungsmäßig betreiben. Das bedeutet, ich schaue für das Schießen zum IPSC, für körperliche Techniken in die einschlägigen (leistungs-/wettkampfsportlich geprägten) Zweikampf-Kontaktsportarten und integriere meine Fähigkeiten schließlich im Rahmen des dienstlichen Trainings (egal ob man das nun PE, SET, DIF, IF oder was auch immer nennt) in mein polizeitaktisches Konzept.
In diesem Sinne schließe ich diesen langen Sermon mit einem weihnachtlichen
„Happy Training!!!!“