Handfesselung hinten - Sturz & Haftung

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Handfesselung hinten - Sturz & Haftung

Beitragvon Syzygy » Sa 5. Dez 2015, 09:47

Hallo,

ich habe eine Nachfrage, da ich über Internetrecherche nichts zum Thema gefunden habe und daher Hinweise von Kollegen im aktiven Dienst suche.

Fragestellung: Gibt es aktuelle Vorschriften/Dienstanweisungen/Handlungsempfehlungen für die Polizeien oder den Justizvollzugsdienst, wie im Falle einer Handfesselung auf dem Rücken gegen Sturzverletzungen Vorsorge zu treffen ist? De facto kann sich die derart gefesselte Person im Falle eines Sturzes ja nicht mehr vorn mit den Händen abfangen und läuft Gefahr, schwere Verletzungen im Bereich von Schädel u. insbesondere im Gesicht davon zu tragen.

Ich kann mich erinnern, dass wir im Polizeidienst in Berlin (war allerdings in den 90ern) Personen bei Handfesselung auf dem Rücken grundsätzlich nur "geführt" haben, also immer mind. ein Beamter direkten Griffkontakt hatte um im Falle eines drohenden Sturzes eingreifen zu können oder die Person bereits im Vorfeld so führen zu können, dass Hindernisse o. potenziell gefährliche Bodensituationen umgangen werden. Das auch dies nicht in 100% der Fälle erfolgreich sein kann, keine Frage. Meine Erfahrungen sagen ganz klar: Auf dem Rücken gefesselte Personen niemals "frei laufen" lassen.

Nun bin ich aber seit etlichen Jahren nicht mehr im Polizeidienst, sondern im Maßregelvollzug tätig und hier gelten etwas andere Spielregeln, viele Dinge werden von den Kliniken intern nach Absprache auf der Leitungsebene geregelt. Aktuell haben wir die Diskussion über den Umgang mit einem sehr schwer psychisch kranken Patienten, der Übergriffe gegen Personen in einer Häufigkeit und Intensität begeht, dass das Verlassen seines besonders gesicherten Zimmers nur mit Handfesselung auf dem Rücken und 3 Begleitpersonen genehmigt ist. Der behandelnde Psychologe möchte nun festlegen, dass der Pat. sich in der Handfesselung "ungeführt" bewegen soll, also ohne direkten Griffkontakt. Die Begleitpersonen sollen "angemessenen Abstand" halten. Hintergrund ist der, dass der Pat. sich durch den direkten Kontakt bedroht fühle und dadurch die Anspannung zunehme.

Ich habe hier klare Bedenken bezüglich der Haftungsfrage, da die Person in ihren Handlungen sehr schwer einzuschätzen ist und unter dem Einfluss starker Medikamente steht. Im Falle eines Sturzes mit möglicherweise schwerwiegenden Folgen ist eine Anzeige der Angehörigen nicht weit und ich kann mir vorstellen, dass auch ein Richter der Ansicht folgt, dass man bei derart eingeschränkter Handlungsfähigkeit besondere Fürsorgepflichten hat. Ich fühle mich damit absolut nicht wohl, treffe aber bei den therapeutischen Kollegen die über keine Erfahrungen aus dem Vollzugsdienst verfügen, auf wenig Verständnis.

Insofern wäre ich froh, wenn ihr mir mitteilen könntet, wie ihr bei Handfesselung auf dem Rücken im Dienst vorgeht und ob es in eurem Arbeitsbereich hierfür Vorschriften gibt, idealerweise mit Angabe einer Dokumentenbezeichnung oder Quelle, falls verfügbar.

Vielen Dank!

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Re: Handfesselung hinten - Sturz & Haftung

Beitragvon Diag » Sa 5. Dez 2015, 10:32

Die Frage wäre ja vielmehr, ob es bei euch da Vorschriften gibt. Mir könnte ein Psychologe/Arzt/wasauchimmer viel erzählen was er gut findet. Habe ich die Verantwortung, geht es nach "meinen" Regeln (die in Gesetzen, Erlassen und/oder in meinem GMV zu finden sind). Stichwort Garantenstellung (etc.)

Auf jeden Fall würde ich schon mal auf was schriftliches bestehen.

Wohin verlässt er denn dann das Zimmer?

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Re: Handfesselung hinten - Sturz & Haftung

Beitragvon Syzygy » Sa 5. Dez 2015, 11:22

Diag hat geschrieben:Die Frage wäre ja vielmehr, ob es bei euch da Vorschriften gibt. Mir könnte ein Psychologe/Arzt/wasauchimmer viel erzählen was er gut findet. Habe ich die Verantwortung, geht es nach "meinen" Regeln (die in Gesetzen, Erlassen und/oder in meinem GMV zu finden sind). Stichwort Garantenstellung (etc.)
Im reinen Vollzug klar. Im MRV müssen Sicherheitsaspekte regelmässig hinter Therapiezwecken zurückstehen, auch wenn dies mit Risiken verbunden ist. Ist halt der Grundsatz solcher Einrichtungen, in den Konflikt kommt man bei Lockerungen z.B. immer wieder. Daher haben die Ärzte/Psychologen ein gewichtiges Wort mitzureden.
Auf jeden Fall würde ich schon mal auf was schriftliches bestehen.
Das ist klar, sollte die Klinik auf diesem Ansatz bestehen, würde ich die Anordnung nur umsetzen, nachdem das als schriftliche Anweisung vorliegt.
Wohin verlässt er denn dann das Zimmer?
Über einen Flur und einen Gemeinschaftsraum (in dem sich auch andere Patienten und jede Menge Einrichtungsgegenstände befinden) in einen umzäunten Aussenbereich. Dort werden die Handfesseln entfernt und das Personal zieht sich zurück. Er kann sich allein unter permanenter Überwachung durch Kameras u. über eine Sicherheitsglasscheibe für ca. 30min dort aufhalten.

Anschließend wird für den Rücktransfer die Fesselung wieder angelegt.
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Re: Handfesselung hinten - Sturz & Haftung

Beitragvon Lone Soldier » Sa 5. Dez 2015, 11:42

Mal abgesehen von der Haftungsfrage. Auch mit Handfesseln kann der immer noch einer Gefahr sein (Kopfstöße, Tritte, Spucken). Und auch wenn es "nur" Maßregelvollzug ist: Dort sitzen doch z.T. Leute, die sich den ganzen Tag mit nichts anderem beschäftigen, als darüber nachzudenken, wie sie sich auch gefesselt wehren können. Alleine schon aus Eigensicherungsgründen würde ich den immer unter Kontrolle haben wollen. Aber das so was in vielen Kliniken ein Fremdwort ist, kriegt man ja regelmäßig mit.

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Re: Handfesselung hinten - Sturz & Haftung

Beitragvon Brot » Sa 5. Dez 2015, 11:46

Syzygy hat geschrieben:Insofern wäre ich froh, wenn ihr mir mitteilen könntet, wie ihr bei Handfesselung auf dem Rücken im Dienst vorgeht und ob es in eurem Arbeitsbereich hierfür Vorschriften gibt, idealerweise mit Angabe einer Dokumentenbezeichnung oder Quelle, falls verfügbar.
Ich könnte mir vorstellen, dass das evtl. in einer Dienstanweisung steht, z.B. etwas wie "DA Transport" und es dabei ein Unterabschnitt genannt ist. Da müsste ich allerdings auch erst nachschauen, davon abgesehen dürfte es aber von Bundesland zu Bundesland verschieden sein.

Wäre evtl. ein Bauchgurt eine Alternative, mit der sich die Person vor dem Bauch fesseln lässt? Ein Sturz wird dabei zwar auch nicht gut abzufangen sein, aber bestimmt besser als bei einer Fesselung auf dem Rücken. In Punkto Eigensicherung wäre es allerdings wiederum ein Nachteil.

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Re: Handfesselung hinten - Sturz & Haftung

Beitragvon Diag » Sa 5. Dez 2015, 13:20

An den Gurt hatte ich auch schon gedacht, beim Aufsmaulfallen tut es aber genau so weh. Ich nehme den nur bei Transport in Kfz auf längeren Strecken.

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Re: Handfesselung hinten - Sturz & Haftung

Beitragvon 1957 » Sa 5. Dez 2015, 13:30

die antwort ist recht einfach:

wer hat die entscheidungsbefugnis? was der sagt, wird gemacht.

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Re: Handfesselung hinten - Sturz & Haftung

Beitragvon Syzygy » Sa 5. Dez 2015, 17:31

1957 hat geschrieben:die antwort ist recht einfach:

wer hat die entscheidungsbefugnis? was der sagt, wird gemacht.
Hehe, ja rein formal ist es natürlich so einfach.

Der ärztliche Dienst (Psychiater/Psychologen/Sozialarbeiter/Ergo- u. sonstige Therapeuten) ist den anderen Gruppen (Sicherheitsdienst, Pflege- u. Erziehungsdienst) nicht direkt weisungsbefugt. Er spricht aber natürlich die Empfehlung aus, wie im Hinblick auf die Therapieerfordernisse des Straftäters gehandelt werden sollte. Falls dem nicht erhebliche Bedenken entgegen stehen, wird dies von den anderen Berufsgruppen auch umgesetzt und über eine Anweisung von deren obersten Vorgesetzten formal angeordnet.

Im MRV sind wir allerdings bestrebt, zwischen den Professionen konstruktiv zusammen zu arbeiten und uns nicht gegenseitig die Kompetenzen unter die Nase zu reiben. Natürlich gibts auch da Grenzen wo jede Gruppe sich dann irgendwann auch nicht mehr reinreden lässt, aber grundsätzlich ist man schon an Kompromissen interessiert, die alle Beteiligten mit tragen.

Daher hatte ich gehofft, es gäbe in Einrichtungen die mit regelmässiger Häufigkeit Fesselungen durchführen müssen, eventuell bewährte Verfahrensanweisungen an denen man sich orientieren kann oder zumindest aus der täglichen Praxis 'nen eindeutigen Trend, wie es die Beamten der anderen Vollzugseinrichtungen tun. Andere Justizbehörden haben, was den Bereich des Einsatzes von Handfesselungen angeht, einfach deutlich mehr Erfahrungen als wir. Bisherige Fesselungen, z.B. für Fahrten zum Gericht oder zu externen Einrichtungen, wurden grundsätzlich immer mit direktem Kontakt zum Patienten durchgeführt, die Frage ob ein "freies Laufen" vertretbar ist, stellte sich einfach noch nie und anscheinend hat sich bisher auch nie jemand über die Haftungsfrage bzw. beondere Fürsorgepflicht Gedanken gemacht.
Dass es nicht mein persönlicher Kopf ist, der im Fall der Fälle rollt, ist mir schon klar. Ich bin es auf Grund meiner beruflichen Vergangenheit allerdings gewohnt, Gefahren eben bereits durch Prävention zu minimieren und nicht erst zu warten bis was passiert und dann mit den Schultern zu zucken weil ja nicht meine Unterschrift auf der Anordung steht.

Falls doch, möchte ich wenigstens sagen können: "Told you so!" :zunge: ^^
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Re: Handfesselung hinten - Sturz & Haftung

Beitragvon 1957 » Sa 5. Dez 2015, 17:41

es gibt dinge im leben, die lassen sich nicht bis auf's letzte i-tüpfelchen regeln. das ist auch gut so.
wenn es zur art und weise einer notwendigen maßnahme unterschiedliche auffassungen gibt, dann kann das von den beteiligten diskutiert werden. kommt es zu keiner einigung, muss einer entscheiden. ja, so einfach ist das. immer nach irgendwelchen anweisungen und verfügungen zu rufen, macht selbstverantwortlichem handeln den garaus. dann braucht es auch keine leute mit köpfchen und courage.

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Re: Handfesselung hinten - Sturz & Haftung

Beitragvon vladdi » So 6. Dez 2015, 14:20

Bei mir ist das nicht geregelt. Und das ist auch gut so. Denn so kann ich lageangepasst den Gefesselten nicht berührern, führen oder den Arm verdrehen. So wie es notwendig ist und so wie ich die Situation bewältigen kann und den Gefesselten beruhigen kann.

Wäre nicht eine solche Lösung auch bei euch (@TE) angebracht?

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Re: Handfesselung hinten - Sturz & Haftung

Beitragvon Syzygy » So 6. Dez 2015, 21:13

Im Grunde ist dies die aktuelle Situation. Es gibt keine feste Regelung diesbezüglich, die an der Person arbeitenden Mitarbeiter tragen die Einsatzverantwortung und entscheiden individuell, wann locker geführt und wann Abstand gehalten wird. Das lief bisher auch problemlos.

Es wird noch Diskussionen zu diesem Thema auf Leitungsebene geben, daher hatte ich nachgefragt, ob es in anderen Bereichen des Vollzugs eventuell etablierte Vorgehensweisen gibt. Dass gefesselte Personen stürzen und sich verletzen ist ja nun nichts völlig abwegiges, ich hätte vermutet, es gäbe hierzu bereits Erfahrungswerte oder gar offizielle Handlungsempfehlungen. Gibt ja immer mal wieder Arbeitsgruppen die sich mit solchen oder ähnlichen Problematiken beschäftigen.

Trotzdem erstmal Danke für das Feedback bis hier her.
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Re: Handfesselung hinten - Sturz & Haftung

Beitragvon Benny-Online » Di 8. Dez 2015, 01:23

Im Strafvollzug NRW hilft der Blick in das StVollzG.
Unbeschadet dessen wird die Art der Fesselung angeordnet.

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Re: Handfesselung hinten - Sturz & Haftung

Beitragvon vladdi » Di 8. Dez 2015, 13:06

Erspare denen, die mit dem StVollzG NRW nicht vertraut sind, doch das Googeln!

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Re: Handfesselung hinten - Sturz & Haftung

Beitragvon Peppermintpete » Di 8. Dez 2015, 14:19

Ich habe das genannte Gesetz jetzt mal grob überflogen.

Da steht etwas, dass die Gefangenen bei Fesselung (§69) zu schonen sind.
Das lese ich so, als dass bei der Anweisung einer Fesselung (die in der Regel durch die Anstaltsleitung zu erfolgen hat), schon zu schauen ist, was erforderlich und geeignet ist.

Ich habe mal nach dem Begriff 'Haftung' suchen lassen - kein Treffer.

Also ganz so eindeutig empfinde ich (zugegenermaßen Laie bzgl. des Justitzvollzuges) das ganze nicht.
:keks:

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Re: Handfesselung hinten - Sturz & Haftung

Beitragvon 1957 » Di 8. Dez 2015, 15:00

ich finde das ebenso eindeutig wie die regelung unseres polizeigesetzes, mit dem unterschied, das eben die Anstaltsleitung zur Anordnung der Maßnahme befugt ist. wer im einzelnen dann wirkliche die Anordnung treffen darf, wird wohl auf dem wege der delegation in der anstalt durch dienstanweisung zu regeln sein.


hinsichtlich der Haftung kann wohl grundsätzlich festgestellt werden,
das der gefesselte vor möglichem übel geschützt werden muss ( z.b. anschnallen im Auto, führen im Treppenhaus etc.
sollte aber der gefangene z.b. plötzlich die "beine in die Hand nehmen" und sich dann löffeln, dabei wg. Fesselung und verfolgung auf die visage knallt, dann ist das ganz allein sein problem.


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