Ingewahrsamnahme hilfloser Personen - Richtervorbehalt?

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Moderator: schutzmann_schneidig

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krisjugo
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Ingewahrsamnahme hilfloser Personen - Richtervorbehalt?

Beitragvon krisjugo » Mi 10. Jul 2013, 18:14

Das ASOG Berlin sagt folgendes:

§ 30
Gewahrsam
(1) Die Polizei kann eine Person in Gewahrsam nehmen, wenn
1. das zum Schutz der Person gegen eine Gefahr für Leib oder Leben unerlässlich
ist, insbesondere weil die Person sich erkennbar in einem die
freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand oder sonst in hilfloser
Lage befindet,
[...]

§ 31
Richterliche Entscheidung
(1) 1Wird eine Person auf Grund von [...] § 30 festgehalten, hat die Polizei unverzüglich eine richterliche Entscheidung über Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung herbeizuführen. 2Der Herbeiführung der richterlichen Entscheidung bedarf es nicht, wenn anzunehmen
ist, dass die Entscheidung des Richters erst nach Wegfall des Grundes der polizeilichen Maßnahmen ergehen würde.

Bis vor kurzem wurden HP (hilflose Personen) einfach zur GeSa gebracht und nach Ausnüchterung konnten sie wieder gehen.
Nun hat aber eine neue Kollegin, die gerade ausgelernt hat (zurecht) auf den § 31 verwiesen...
Die hilfloser Person hatte zwar knapp 3‰ intus und konnte sich nur waagerecht fortbewegen, wollte aber nicht in eine Ausnüchterungszelle (wohnte alleine, keine anderweitige Betreuung möglich).

Also wurde ein Richter angerufen...

Im Ergebnis musste ein schriftlicher (formgebundener) Antrag mit der voraussichtlichen Dauer der Freiheitsentziehung an den Richter gefaxt werden. Dieser hat dann (ohne die Person zu vernehmen/ anzuhören, da diese auf Grund des Alkoholisierungsgrads nicht vorführungsfähig war) die Ingewahrsamnahme für zulässig erklärt.
Ein Einsatz, der für gewöhnlich ca. 30 Minuten dauert, zog sich nun über mehrere Stunden auf Grund der zusätzlichen Schreibarbeiten und Verständigungen mit dem Richter.
Wie ich finde, ist das doch sehr unbefriedigend...

Würde mal gerne eure Meinungen und rechtlichen Einschätzungen hierzu hören.

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Re: Ingewahrsamnahme hilfloser Personen - Richtervorbehalt?

Beitragvon Timmey! » Mi 10. Jul 2013, 18:20

Ist leider Standard bei uns (SH), wobei wir meistens nachts niemanden erreichen.

Ist halt wie mit Blutproben das leidige Thema über Theorie und Praxis des Richtervorbehalts.

Da wir ab ca. 18 Uhr niemanden erreichen, wird das ganze per Fax ans AG geschickt. Bei Hilos ist es ja meistens eh nur ein 2-Zeiler.
Entweder kommt dann eine Reaktion vom AG oder der Probant wird halt ausgenüchtert entlassen, womit die richterliche Bestätigung hinfällig ist.

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Re: Ingewahrsamnahme hilfloser Personen - Richtervorbehalt?

Beitragvon MICHI » Mi 10. Jul 2013, 18:25

Personen, die ausschließlich aufgrund ihres Alkoholisierungsgrades hilflos sind, werden bei uns gar nicht verwahrt.
RTW und ins Krankenhaus bzw. in die ZAB.

Da spricht unsere PDV ganz klare Worte.
Gruß
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Re: Ingewahrsamnahme hilfloser Personen - Richtervorbehalt?

Beitragvon Gast » Mi 10. Jul 2013, 18:32

Und was macht ihr, wenn die im Krankenhaus oder vom RTW ihn nicht haben wollen? Bei uns nehmen die keinen auf, nur weil der zu besoffen für den Heimweg ist. Wenn ihr da Abkommen habt, klingt das nicht schlecht. In Bremen landet der dann in der Zelle. Bericht wird ans AG gefaxt. Richtervorbehalt wird halt inzwischen enger gesehen als früher.

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Re: Ingewahrsamnahme hilfloser Personen - Richtervorbehalt?

Beitragvon Mainzelmann2001 » Mi 10. Jul 2013, 18:34

zw. 21.00 und 06.00 h machen wir alles selbst, kein Richter da. Davor und danach Richtervorbehalt, wobei je nach Richter ein Telefonat, ein Fax oder auch das pers. Erscheinen zu einem Beschluss führt.

Im übrigen @ Michi

auch Hamburg darf mal Vorreiter sein. Tolle Lösung. Ich glaub ihr habt auch auf eng begrenztem Raum recht viel dieser Probanten. ;D
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Re: Ingewahrsamnahme hilfloser Personen - Richtervorbehalt?

Beitragvon 1957 » Mi 10. Jul 2013, 18:38

ja, das ist keine lösung für städte ohne ausgewiesene vergnügungsviertel und touristenrummel.

anosonsten wird das bei uns unterschiedlich gehandhabt.
ich glaube aber, dass führt hier zu weit.
jedenfalls bestimmt kein neuer kollege/ kollegin, wie das läuft.

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Re: Ingewahrsamnahme hilfloser Personen - Richtervorbehalt?

Beitragvon MICHI » Mi 10. Jul 2013, 18:44

Woody 2007 hat geschrieben:Und was macht ihr, wenn die im Krankenhaus oder vom RTW ihn nicht haben wollen? Bei uns nehmen die keinen auf, nur weil der zu besoffen für den Heimweg ist. Wenn ihr da Abkommen habt, klingt das nicht schlecht. In Bremen landet der dann in der Zelle. Bericht wird ans AG gefaxt. Richtervorbehalt wird halt inzwischen enger gesehen als früher.
Da inzwischen entsprechende Krankenhäuser mit den notwendigen Räumlichkeiten ausgestattet sind, müssen sie die Probanden aufnehmen und die FW muss transportieren.

Richter für den "normalen" Gewahrsam nur in der allgemeinen Geschäftszeit, ansonsten ohne.
Gruß
MICHI


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Re: Ingewahrsamnahme hilfloser Personen - Richtervorbehalt?

Beitragvon chigurh » Mi 10. Jul 2013, 18:53

Bei einem Gewahrsam ist unverzüglich die richterliche Entscheidung herbeizuführen.
Unverzüglich bedeutet, ohne Verzögerung welche nicht sachlich zu rechtfertigen wäre. (BVerfGE)
Sachlich ist nicht, "das haben wir vergessen" oder "ich hab gedacht das haben die Kollegen schon gemacht wenn die den uns bringen".
Das heißt natürlich nicht, dass die Entscheidung sofort, noch vor Verbringen in die Zelle herbeigeführt werden muss.

Es bedarf keine richterliche Entscheidung, wenn bereits absehbar ist dass der Grund vor Einholung dieser wegfällt. Wenn nachts kein Bereitschaftsdienst besteht und ein Volltrunkener am frühen morgen wieder ausgenüchtert ist, wird dieser ohne Entscheidung entlassen. Eine Verlängerung des Gewahrsam mit dem einzigen Zweck, dass eine Entscheidung herbeigeführt wird ist weder recht- noch zweckmäßig.
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Re: Ingewahrsamnahme hilfloser Personen - Richtervorbehalt?

Beitragvon Peppermintpete » Mi 10. Jul 2013, 19:04

1957 hat geschrieben:jedenfalls bestimmt kein neuer kollege/ kollegin, wie das läuft.
Naja, die Kollegin hat ja lediglich auf den bestehenden Gesetzestext verwiesen. Und dem Richtervorbehalt sollte man sich wenigstens bewusst sein.
Ich meine ausdrücklich nicht dich damit, aber Kollegen, die sagen "das haben wir schon immer so gemacht und darum muss das auch richtig sein" vertreten nicht mein selbstverständnis eines eigenverantwortlich arbeitenden Polizisten.
:keks:

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Re: Ingewahrsamnahme hilfloser Personen - Richtervorbehalt?

Beitragvon torben78 » Mi 10. Jul 2013, 19:18

@ krisjugo: Der Richtervorbehalt bei ASOG-Maßnahmen spielt in der polizeilichen Praxis eine immer größere Rolle. Zurecht, denn er besteht nicht erst seit gestern. Hat man sich in der Vergangenheit immer darauf verständigt, dass Hilflose nicht verhandlungsfähig seien und bei Erlangung der Verhandlungsfähigkeit ohnehin aus dem Gewahrsam entlassen werden, ist es nicht einleuchtend, warum den Personen der Rechtsschutz verwährt werden soll. Wobei der Antrag nicht an eine Form gebunden ist. Es gibt aber Formulierungen, an denen man sich entlang hangeln kann. Lehrgänge, wie Richtervorführung HG, können helfen. Klar macht das mehr Arbeit, ist aber vom Gesetzgeber gewollt und sichert mich ab. Die Variante mit dem "Antrag faxen" ist zudem sexy, da ich dann nicht zwingend zum TeDamm fahren muss. Mich würde bloß interessieren, ob ihr den Beschluss per Fax bekommen habt, oder ob es nur ein telefonisches okay gab.

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Re: Ingewahrsamnahme hilfloser Personen - Richtervorbehalt?

Beitragvon JoeArmstrong » Mi 10. Jul 2013, 19:36

Peppermintpete hat geschrieben:[...] Kollegen, die sagen "das haben wir schon immer so gemacht und darum muss das auch richtig sein" vertreten nicht mein selbstverständnis eines eigenverantwortlich arbeitenden Polizisten.
:zustimm:

Bei uns wird zur Geschäftszeit die richterliche Entscheidung eingeholt. Erfahrungsgemäß ergeht diese beim Schutzgewahrsam telefonisch. Einen durchgehenden Bereitschaftsdienst haben wir auf dem Land bei den Gerichten nicht.
Geht es nur um starke Alkoholisierung, wird der Betroffene in der Regel auch vom RTW ins KKH gebracht.

Gruß

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Re: Ingewahrsamnahme hilfloser Personen - Richtervorbehalt?

Beitragvon krisjugo » Mi 10. Jul 2013, 19:46

torben78 hat geschrieben:@ krisjugo: Der Richtervorbehalt bei ASOG-Maßnahmen spielt in der polizeilichen Praxis eine immer größere Rolle. Zurecht, denn er besteht nicht erst seit gestern. Hat man sich in der Vergangenheit immer darauf verständigt, dass Hilflose nicht verhandlungsfähig seien und bei Erlangung der Verhandlungsfähigkeit ohnehin aus dem Gewahrsam entlassen werden, ist es nicht einleuchtend, warum den Personen der Rechtsschutz verwährt werden soll. Wobei der Antrag nicht an eine Form gebunden ist. Es gibt aber Formulierungen, an denen man sich entlang hangeln kann. Lehrgänge, wie Richtervorführung HG, können helfen. Klar macht das mehr Arbeit, ist aber vom Gesetzgeber gewollt und sichert mich ab. Die Variante mit dem "Antrag faxen" ist zudem sexy, da ich dann nicht zwingend zum TeDamm fahren muss. Mich würde bloß interessieren, ob ihr den Beschluss per Fax bekommen habt, oder ob es nur ein telefonisches okay gab.
ich selber war gar nicht involviert, sondern ein Wagen der selben Schicht...während die halbe Wache diese Aktion ins Lächerliche gezogen hatte, habe ich ins Gesetz geguckt, meinen Kommentar zu Rate gezogen und bin zu dem Ergebnis gekommen, dass dies die korrekte Arbeitsweise ist...

hat mich zu diesem Zeitpunkt allerdings sehr gewundert, weil das bis dahin nie Thema war (und immer ohne Richter gemacht wurde)...

soweit ich weiß, wurde das Ganze dann telefonisch abgesegnet, nachdem der Antrag vorlag

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Re: Ingewahrsamnahme hilfloser Personen - Richtervorbehalt?

Beitragvon krisjugo » Mi 10. Jul 2013, 19:49

zum Thema RTW und Krankenhaus:

Meine bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, dass alkoholisierte hilflose Personen grundsätzlich an die Polizei übergeben werden. Erst wenn von einer Alkoholvergiftung ausgegangen werden muss, übernimmt der RTW. Ansonsten haben immer wir das Vergnügen :/

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Re: AW: Ingewahrsamnahme hilfloser Personen - Richtervorbeha

Beitragvon torben78 » Mi 10. Jul 2013, 19:59

krisjugo hat geschrieben:zum Thema RTW und Krankenhaus:

Meine bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, dass alkoholisierte hilflose Personen grundsätzlich an die Polizei übergeben werden. Erst wenn von einer Alkoholvergiftung ausgegangen werden muss, übernimmt der RTW. Ansonsten haben immer wir das Vergnügen :/
Ganz so schlimm ist es eigentlich nicht. Wird die Person liegend angetroffen und kann nicht eigenständig sitzen, muss die BF ohnehin transportieren. Oft fahren sie dann auch zum KKH, alles ne Frage der Absprache.

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Re: Ingewahrsamnahme hilfloser Personen - Richtervorbehalt?

Beitragvon MICHI » Mi 10. Jul 2013, 20:01

Da sollten eure zuständigen Behörden sich einmal zusammensetzen.

Sowohl unsere PDV als auch die adäquate Vorschrift der Feuerwehr bei uns, sagt da klar, dass hilflose alkoholisierte als Kranke zu behandeln und durch die Fw in ein Kkhs. zu verbringen sind.
Gruß
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